Luciano De Crescenzo

Luciano De Crescenzo (2007)

Luciano De Crescenzo [luˈtʃaːno de kreˈʃentso] (* 18. August 1928 in Neapel; † 18. Juli 2019 in Rom[1]) war ein italienischer Schriftsteller und Filmregisseur.

Leben

De Crescenzo wurde 1928 im neapolitanischen Stadtteil Santa Lucia geboren. Er studierte Ingenieurwissenschaften an der Universität Neapel und arbeitete dann als leitender Ingenieur im Bereich Marketing beim Computerkonzern IBM, ehe er sich Mitte der 1970er-Jahre mit 45 Jahren ganz dem Schreiben und der Philosophie widmete.

De Crescenzo war geschieden, hatte eine Tochter und lebte in Neapel, dessen Atmosphäre er in seinen Büchern immer wieder aufgriff, sowie in Rom. De Crescenzo war befreundet mit Bud Spencer, der ebenfalls aus Neapel kam. Sein Lebenswunsch war es, so zu werden wie sein Onkel Luigi[2]. Dieser war ein Lebemann: Junggeselle, Pferdeliebhaber, gutaussehend und verschwenderisch. Onkel Luigi reiste zweimal nach Amerika, wo er für etwa ein halbes Jahr einen Job annahm, den er jedoch wieder kündigte und nach Neapel zurückkehrte, um sich eine neue Arbeit zu suchen.

Zweiter Weltkrieg

Er war gerade in die Pubertät gekommen, als der Zweite Weltkrieg auch in Neapel seinen Anfang nahm[3]. Die Familie (insgesamt 15 Mitglieder) mußte Neapel verlassen. Dies geschah auf ungewöhnliche Weise. Auf der Suche nach einem geeigneten "friedlichen" Ort brachte der Vater eines Tages eine Landkarte von Italien mit, studierte sie zwei Stunden lang und entschied sich schließlich für die Stadt Cassino (Latium). Dieser Ort war, wie sich später herausstellen sollte, eines der schlimmsten Schlachtfelder, der "einzige Korridor von Nord nach Süd" des Zweiten Weltkriegs in Italien. In Cassino besuchte de Crescenzo für einige Monate das Gymnasium und nahm nach der Einstellung des Busverkehrs Privatunterricht bei einem jüdischen Lehrer, der ihm in sechs Monaten mehr beibrachte als in drei Jahren Schulunterricht in Neapel. Er unterrichtete ihn in Latein, Italienisch, Geschichte und Mathematik. Nur Deutsch wollte er ihm nicht beibringen. De Crescenzo war offenbar der einzige, der in der Schule Deutsch lernte[4]. Schließlich wurde die Familie nach Rom deportiert, in ein Schulgebäude, je 15 Personen pro Klassenzimmer. Als der Krieg zu Ende war und die Alieerten (Amerikaner) kamen, planten die Eltern bereits die Rückkehr nach Neapel. Für 200 Kilometer brauchten sie zwei Tage. Die Straßen waren in einem erbärmlichen Zustand und Neapel selbst nicht wiederzuerkennen. Das Handschuhgeschäft des Vaters war von einer Bombe getroffen worden. Noch Kilometer weiter lagen Handschuhe made in Naples herum[5].

Nach dem Krieg

Auf Empfehlung eines Freundes wagte sich der gelernte Ingenieur De Crescenzo in den 60er Jahren in die Welt von IBM Italia, die gerade die Lochkartentechnik in Italien einführte. Damals misstrauten die Italiener der neuen Computerwelt und vor allem dem, was aus den USA kam. Damals war die IBM-Niederlassung in Neapel nicht größer als ein Laden mit vier Mitarbeitern in zwei Räumen, ausgestattet mit ein paar Schreibtischen und ein paar Plakaten im Schaufenster.

Kein Neapolitaner verstand so recht, was De Crescenzo dort arbeitete. Für sie war Informatik eine amerikanische Spinnerei, etwas Unnötiges, das sie einführten, um sich wichtig zu machen. De Crescenzos Mutter war der Überzeugung, dass ihr Sohn nichts anderes tue, als die Leute vollzuquatschen und sie über den Tisch zu ziehen. Bis zum Schluss verstand sie nicht, was er tat und verwechselte sogar die Firmennamen. Wozu brauche der Mensch Computer und was mache er, wenn er morgens den Laden aufschließt, fragte sie immer wieder.

Die Berufsaussichten für den Ingenieur waren recht gut: De Crescenzo machte schnell Karriere und strebte die Filialleitung an. Der Laden wuchs schnell, und er wurde zum Marketingleiter ernannt. Eine Position, die er viele Jahre lang widerwillig ausübte, bis er eines Tages (mit 45 Jahren) kündigte, um nur noch als Schriftsteller zu arbeiten. Seine Familie verstand das nicht. Sie war sich sicher, dass er seine Entscheidung bald bereuen würde. Die Beförderung zum Filialleiter stand kurz bevor. Sogar sein Friseur fragte ihn eines Tages, warum er nicht beides machen könne. Er müsse ja nur so tun, als ob er arbeiten würde. In Wirklichkeit könne er sich an den Schreibtisch setzen und überlegen, was er nach der Arbeit schreiben wolle. Im Urlaub oder wenn er krank sei, könne er das dann umsetzen[6].

Nach IBM

De Crescenzo belegte schon als Gymnasiast das Fach Philosophie und beschäftigte sich mit der Philosophie der Antike. Aber erst viel später, während seiner Versetzung nach Mailand, traf er zufällig wieder auf sie und begriff allmählich, dass er ohne sie nicht mehr leben konnte. Er hatte gerade eine Scheidung hinter sich und litt unter Einsamkeit und Überarbeitung. Es war, als hätte er sich neu verliebt. Er stellte seinen Beruf in Frage, fragte nach dem Glück, nach der finanziellen Situation, nach dem Leben. Er zitiert Sokrates, der alle Arbeiter als banausi bezeichnete, ein (vulgäres) griechisches Wort für Handwerker, die zwar tüchtig sind, aber nicht leugnen können, auch zu schwitzen und unglücklich zu sein; die Neapolitaner (der Geschichte Neapels nach) sind als direkte Nachfahren der Griechen zu sehen, was ein gesundes Misstrauen gegenüber jeder Form von übertriebener Produktivität erklärt. De Crescenzo selbst ist bei IBM in Neapel selten vor neun Uhr abends nach Hause gekommen[7].

Veröffentlichungen

Er hat rund 40 Bücher veröffentlicht, die oft internationale Bestseller wurden. In seinen Büchern verbindet er die Lebensart und Mentalität Italiens und ganz besonders die seiner Heimatstadt Neapel humorvoll mit philosophischen Themen. Bislang wurden seine Werke in 19 Sprachen übersetzt und 18 Millionen Bücher verkauft.

Nach seinem schriftstellerischen Sensationserfolg Also sprach Bellavista schrieb De Crescenzo weitere Bücher über Philosophie und die Antike, in denen er auf humoristische Weise antike Motive aufgriff.

Auch wurde er als Drehbuchautor und Regisseur aktiv; so verfilmte er seinen großen Erfolg selbst und ließ drei weitere Filme folgen. Für Also sprach Bellavista schrieb er auch das Drehbuch und übernahm die Titelrolle.

Werke

  • Così parlò Bellavista. Napoli, amore e libertà. Arnoldo Mondadori Editore, Mailand 1977
    • deutsch: Also sprach Bellavista. Neapel, Liebe und Freiheit. Aus dem Italienischen von Linde Birk. Diogenes, Zürich 1986, ISBN 3-257-21670-X.
  • Raffaele. Cartoons. Mondadori, Mailand 1978
  • La Napoli di Bellavista. Sono figlio di persone antiche. Mondadori, Mailand 1979
  • Zio Cardellino. Roman. Mondadori, Mailand 1981
    • deutsch: Zio Cardellino. Der Onkel mit dem Vogel. Aus dem Italienischen von Ina von Puttkamer. Diogenes, Zürich 1991, ISBN 3-257-21914-8.
  • Storia della Filosofia Greca. Mondadori, Mailand 1983/86
    • deutsch: Geschichte der griechischen Philosophie. Aus dem Italienischen von Linde Birk. Diogenes, Zürich 1990.
  • Teil 1: I Presocratici. 1983
    • deutsch: Die Vorsokratiker. Diogenes, Zürich 1990, ISBN 3-257-21912-1.
  • Teil 2: Da Socrate in Poi. 1986
    • deutsch: Von Sokrates bis Plotin. Diogenes, Zürich 1990, ISBN 3-257-21913-X.
  • Oi dialogoi. I dialoghi di Bellavista. Mondadori, Mailand 1985
    • deutsch: Oi dialogoi. Von der Kunst, miteinander zu reden. Aus dem Italienischen von Jürgen Bauer. Diogenes, Zürich 1989, ISBN 3-257-21758-7.
  • La domenica del villaggio. Mondadori, Mailand 1987
  • Vita di Luciano De Crescenzo. Scritta da lui medesimo. Mondadori, Mailand 1989 (Autobiographie)
    • deutsch: Im Bauch der Kuh. Mein neapolitanisches Leben. Aus dem Italienischen von Linde Birk. Goldmann, München 1992, ISBN 3-442-42606-5.
  • Elena, Elena, amore mio. Mondadori, Mailand 1991
    • deutsch: Helena, Helena amore mio. Roman. Aus dem Italienischen von Linde Birk. Knaus, München 1991, ISBN 3-8135-1261-4.
  • I miti dell’amore. Mondadori, Mailand 1991
    • deutsch: Von der Macht der Liebe. Geschichten aus der Antike. Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. btb, München 2002, ISBN 3-442-72152-0.
  • Il dubbio. Mondadori, Mailand 1992
    • deutsch: Lob des Zweifels. Philosophische Betrachtungen. Aus dem Italienischen von Linde Birk. btb, München 1996, ISBN 3-442-72069-9.
  • I miti degli eroi. Mondadori, Mailand 1992
    • deutsch: Als Männer noch Helden sein durften. Antike Mythen neu erzählt. Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. Goldmann, München 1999, ISBN 3-442-72151-2.
  • Croce e delizia. Mondadori, Mailand 1993 (dooyoo.it)[8]
    • deutsch: Meine Traviata. Aus dem Italienischen von Linde Birk. Knaus, München 1994, ISBN 3-8135-1263-0.
  • I miti degli dei. Mondadori, Mailand 1993
    • deutsch: Kinder des Olymp. Antike Göttermythen neu erzählt. Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. btb, München 2002, ISBN 3-442-72150-4.
  • I miti della guerra di Troia. Mondadori, Mailand 1994
    • Das Urteil des Paris. Antike Mythen neu erzählt. Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. btb, München 2000, ISBN 3-442-72153-9.
  • Usciti in fantasia. Nove racconti. Mondadori, Mailand 1994
  • Panta rei. Mondadori, Mailand 1994
    • deutsch: Alles fließt, sagt Heraklit. Aus dem Italienischen von Linde Birk. btb, München 1997, ISBN 3-442-72165-2.
  • Ordine e disordine. Mondadori, Mailand 1996
    • deutsch: Die Kunst der Unordnung. Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. Knaus, München 1997, ISBN 3-8135-1981-3.
  • Nessuno L’Odissea raccontata ai lettori d’oggi. Mondadori, Mailand 1997
    • deutsch: Der Listenreiche. Die Odyssee, neu erzählt für den Leser von heute. Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. btb, München 2000, ISBN 3-442-72634-4.
  • Il tempo e la felicità. Mondadori, Mailand 1998
    • deutsch: Die Zeit und das Glück. Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. btb, München 2000, ISBN 3-442-72963-7.
  • Le donne sono diverse. Mondadori, Mailand 1999
    • deutsch: Und ewig lockt das Weib. Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. btb, München 2001, ISBN 3-442-72680-8.
  • Tale e quale. Romanzo. Mondadori, Mailand 2001
    • deutsch: Mein Doppelgänger und ich. Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. btb, München 2003, ISBN 3-442-73032-5.
  • Storia della filosofia medioevale. Mondadori, Mailand 2002
    • deutsch: Kleine Geschichte der mittelalterlichen Philosophie. Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. btb, München 2005, ISBN 3-442-73273-5.
  • Storia della filosofia moderna. Da Cartesio a Kant. Arnoldo Mondadori Editore, Mailand 2004
    • deutsch: Und sie bewegt sich doch.[9] Die Anfänge des modernen Denkens, Von Nikolaus von Kues bis Galileo Galilei. Aus dem Italienischen von Bruno Genzler. Knaus, München 2004, ISBN 3-8135-0246-5.
  • I pensieri di Bellavista. Mondadori, Mailand 2005
  • Il pressappoco. Elogio del quasi. Mondadori, Mailand 2007
  • Il caffè sospeso sagezza quotidiana in piccoli sorsi. Mondadori, Mailand 2008
  • Socrate e compagnia bella. Mondadori, Mailand 2009
    • Neuausgabe als: 7 idee per 7 filosofi. Mondadori, Mailand 2016
  • Ulisse era un fico. Mondadori, Mailand 2010
  • Tutti santi me compreso. Mondadori, Mailand 2011
  • Fosse ’a Madonna! Storie, grazie, apparizioni della mamma di Gesù. Mondadori, Mailand 2012
  • Garibaldi era comunista. E altre cose che non sapevate dei grandi della storia. Mondadori, Mailand 2013
  • Gesù è nato a Napoli. La mia storia del presepe. Mondadori, Mailand 2013
  • Ti porterà fortuna. Guida insolita di Napoli. Mondadori, Mailand 2014
  • Stammi felice. Filosofia per vivere relativamente bene. Mondadori, Mailand 2015
  • Ti voglio bene assai. Storia e (filosofia) della canzona napoletana. Mondadori, Mailand 2015
  • Non parlare, baciami. La filosofia e l’amore. Mondadori, Mailand 2016
  • Sono stato fortunato. Autobiografia. Mondadori, Mailand 2018
  • Napolitudine. Dialoghi sulla vita, la felicità e la smania ’e turnà (mit Alessandro Siani). Mondadori, Mailand 2019

Filmografie

Darsteller

  • 1980: Tele Vaticano – Das Auge des Papstes (Tele Vaticano)
  • 1990: Samstag, Sonntag, Montag (Sabato, domenica e lunedi)

Regie und Drehbuch

  • 1984: Also sprach Bellavista (Cosi parlo Bellavista) – auch Darsteller
  • 1988: 32 dicembre
  • 1995: Croce e delizia

Literatur

  • Winfried Wehle: Einfache Gefühle in schwierigen Verhältnissen (L. de Crescenzo: Croce e delizia). In: Italienische Bestseller. (italienisch Nr. 34/1995, S. 78–90). edoc.ku-eichstaett.de (PDF; 589 kB)
Commons: Luciano De Crescenzo – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. [1], Meldung auf diepresse.com vom 18. Juli 2019, abgerufen am 17. August 2019.
  2. Luciano de Crescenzo: Im Bauch der Kuh. Mein neapolitanischen Leben. Goldmann, München 1992, ISBN 978-3-442-42606-5, S. 15 f. 
  3. Luciano de Crescenzo: Im Bauch der Kuh. Mein neapolitanischen Leben. Goldmann, München 1992, ISBN 978-3-442-42606-5, S. 125 f. 
  4. Luciano de Crescenzo: Im Bauch der Kuh. Mein neapolitanisches Leben. Goldmann, München 1992, ISBN 978-3-442-42606-5, S. 128 f. 
  5. Luciano De Crescenzo: Im Bauch der Kuh. Mein neapolitanisches Leben. Goldmann, München 1992, ISBN 978-3-442-42606-5, S. 175 f. 
  6. Luciano De Crescenzo: Im Bauch der Kuh. Mein neapolitanisches Leben. Goldmann, München 1992, ISBN 978-3-442-42606-5, S. 179 f. 
  7. Luciano De Crescenzo: Im Bauch der Kuh. Mein neapolitanisches Leben. Goldmann, München 1992, ISBN 978-3-442-42606-5, S. 213 f. 
  8. 1995 als Film mit Isabella Rossellini, von und mit ihm selbst mymovies.it, mit schlechter Kritik tempimoderni.com
  9. Galileo Galilei – Zitat auf Wikiquote
Normdaten (Person): GND: 118915835 (lobid, OGND, AKS) | LCCN: n79148997 | NDL: 00437446 | VIAF: 83990373 | Wikipedia-Personensuche
Personendaten
NAME De Crescenzo, Luciano
KURZBESCHREIBUNG italienischer Schriftsteller und Filmregisseur
GEBURTSDATUM 18. August 1928
GEBURTSORT Neapel, Italien
STERBEDATUM 18. Juli 2019
STERBEORT Rom, Italien